Wie sich passende Customer Journeys für Neu- und Bestandskunden konzipieren lassen.
Wer die Neukunden-Journey priorisiert, sollte das hier lesen.
Kategorie: Beratung
Es ist jetzt 07:22 Uhr morgens und ich fange diesen Artikel jetzt schon zum dritten Mal an. Eigentlich wollte ich über die Telekommunikations-Branche schreiben und welche komplexen Anforderungen in dieser Branche an die Customer Journey gestellt werden. Aber irgendwie ist es das nicht, denn in anderen Branchen sind die Journeys auch komplex. Sie bestehen auch aus einer Kombinatorik aus Produkt, Service, Vertragswesen, Interfaces … das ist auch in der Automobilbranche der Fall. Oder bei Fahrrädern. Oder Versicherungen.
Wo ich aber immer wieder lande, ist die Priorisierung von Customer Journeys im Unternehmen, die logischerweise auch von den Endkunden bemerkt wird und dann wiederum Auswirkungen auf Verhalten und Handlungen hat.
Die Reise des Nutzenden
Customer Journeys sind ja erst einmal eine Darstellung von „Reisen“. Und Reisen sind natürlich vielfältig. Der eine geht erst nach links, der andere erst nach rechts und beide wollen auch vielleicht nicht das gleiche, reden aber mit dem gleichen Unternehmen. Customer Journeys sind – wenn man ihre Komplexität anerkennt – gar nicht so leicht als handlungsleitendes Instrument zu nutzen. Denn welcher Abzweigung folgt man eigentlich? Für wen passt man ganz konkret die Website an? Für den, der nach links geht oder den anderen?
Die Priorisierung liegt häufig da, wo das Geld liegt. Ein wahrer Satz, der auch für viele private und unternehmerische Entscheidungen gelten könnte. Und das Geld liegt unmittelbar wo? Bei Neukunden! Ja, da kann man innerhalb einer bestimmten Zeit von einem Vertragsabschluss sprechen und der wird auch häufig noch provisioniert. Auf Basis dieses Incentives ist es nur logisch, dass eine Priorisierung in der Entwicklung oder Gestaltung stattfindet. Daran ist auch erst einmal nichts Verwerfliches. Das Problem ist nur, dass das wie mit diesem „1 Keks jetzt, oder 2 Kekse später“-Experiment ist (siehe auch hier: Belohnungsaufschub). Man fokussiert sich häufig ausschließlich auf den einen Keks.
Unerwartetes steigert die Freude
Bestandskund:innen zu halten, ist jedoch leichter als Neukund:innen zu gewinnen – sie sind ja schon on board. Sie haben sich schon einmal für das Produkt oder den Service entschieden. Und ab hier benötigen sie nur ab und zu eine unerwartete (!) Steigerung der Zufriedenheit über das Vertragliche hinaus, um Begeisterung und Zufriedenheit und dadurch Bindung zum Anbieter zu erfahren. Ein bisschen Back-up aus der Psychologie: Unerwartetes bleibt besser im Gedächtnis, steigert Freude (bei positiver Valenz) und verstärkt Gefühle. Genau da liegt der heilige Gral für Bestandskundenpflege. Dazu gleich mehr.
Und hier kommt jetzt der einzige Satz aus meinem ersten Entwurf für diesen Artikel: In der Telekommunikations-Branche ist es nach wie vor normal, dass Bestandskund:innen ihre Verträge kündigen, um bessere Konditionen zu erhalten. Die besseren Konditionen sind nämlich häufig für Neukund:innen reserviert. Moment mal! Man zwingt also Bestandskund:innen dazu, zu drohen, die wertvolle Beziehung aufzukündigen?! Wenn sie dieses Bild mit einer glücklichen Partnerschaft im Privatleben vergleichen, würden wir hier von einer toxischen Beziehung sprechen. Der eine muss drohen, dass er geht, damit er die Aufmerksamkeit vom Partner erhält, die andere erhalten.
So, aber nun wieder zum Versöhnlichen. Das Problem ist ja in vielen Branchen präsent. Aber warum tun sich Unternehmen so schwer, das System zu ändern? Hier meine 5 Cent, ausgedrückt in 3 wichtigen Punkten.
1. Es sind zwei unterschiedliche Customer Journey Approaches.
Bestandskund:innen und Neukund:innen. Also eigentlich ist es eine lange Journey, aber für den Punkt hier, sind es zwei. Beide müssen unterschiedlich ausgestaltet und behandelt werden. Während für Neukund:innen die folgenden Werte wichtig sind: Glaubwürdigkeit, gutes Angebot, direkte Ansprache und Überzeugung, sind es für Bestandskund:innen unter anderem diese hier: Zuverlässigkeit, positive Überraschung, Stärkung und Wertschätzung der Beziehung.
Der Call-to-Action ist hier: Bauen Sie zwei Journeys. Und beachten Sie, dass es jeweils andere Werte gibt, die im Vordergrund stehen. Und damit auch andere Aspekte, die bei der Ausgestaltung wichtig sind.
2. Beide Journeys sind gleichwertig!
Mir ist schon klar, dass das System dahinter ebenfalls verändert werden muss. Aber wenn Neukundengewinne provisioniert werden, sanktionieren Sie doch Bestandskundenabgänge. Oder ein Plus für beide Zuwächse. Und jetzt kommt der Hinweis für große Konzerne: Hängen Sie beides in eine Abteilung/Unit/Organisation. Ansonsten gibt es noch einen Konkurrenzkampf zwischen „Neukundengewinnung“ und „Bestandskundenpflege“. Im Idealfall sitzen die Menschen, die ausgestalten, direkt zusammen!
Aber wie man es auch organisatorisch löst, beide Journeys sind gleichwertig und müssen auch so behandelt werden.
3. Weg vom Bullshit.
Ich weiß, ich weiß, wir sind vermutlich auch nicht viel besser. Ich habe jedoch das Gefühl, dass wir uns alle manchmal zu sehr hinter komplexen Methoden und Begriffen verstecken. Da werden Customer Journeys gebaut, und Persona-Analysen gefahren und all das ist richtig und wichtig. Ich würde nur gerne noch einmal dafür sensibilisieren, was unter all dem liegt: Beziehungspflege und Beziehungsaufbau. Und damit kennt sich doch jeder aus. Jeder kennt die „Angst vor Rückweisung“ oder die „irgendwann schläft die Beziehung ein“-Phase. Das ist die Grundlage für all das. Und damit kann auch jeder irgendwie was anfangen. Daher sollten wir vielleicht über solche Dinge sprechen und uns erst danach der Umsetzung in visuellen oder methodischen Settings widmen.
Das ist wirklich ein verdammt wichtiges Thema und wir widmen uns ihm noch viel zu selten. Wir bei NOVA entwickeln derzeit einen Ansatz, der die Phasen und Touchpoints in Customer Journeys unterschiedlich erarbeitet und dennoch in der Ausgestaltung gleich gewichtet. Falls das interessant ist, melden Sie sich. Falls ich oben einen Punkt vergessen habe, oder Sie sich einfach austauschen wollen, melden Sie sich auch!
Hier haben Sie die Möglichkeit den Blog-Eintrag zu bewerten
Immer auf dem Laufenden bleiben!
Wir senden Dir ca. alle 2 Wochen eine Nachricht, wenn ein neuer Blog-Beitrag online ist.
Kein Spam, nur Wissen.
Autorenprofil
-
General Manager
E-Mail schreiben
Spezialgebiet: Beratung, Product UX, Digitale Business Modelle
Letzte Beiträge
- 14. Oktober 2024BeratungE-Commerce im Alltag der deutschen Bevölkerung
- 20. März 2023BeratungEnergieeinsparungen durch UX
- 19. Januar 2023BeratungWer die Neukunden-Journey priorisiert, sollte das hier lesen.
- 14. April 2022Gedanken & GesprächeDrei Bücher, die man (nicht nur) als UX Researcher braucht (aber auch).